“… haben mich krank gemacht. Es gibt echt sowas nicht hier in Deutschland willkommen …” schreibt Khaled mir per WhatsApp.

Ich kann mir genau vorstellen, was er meint. Mit Willkommenskultur hat das wenig zu tun.

Übrigens haben Elke Müller und ich unsere ersten Episoden von Müller & Schulz – Podcast mit Haltung diesem Thema gewidmet. Dauert nicht mehr lange, bis du “loshören” kannst: Start ist der 01. Mai.

Erst letztens war ich ziemlich gefrustet und antriebslos. Ich weiß nicht, wie Khaled das immer wegsteckt:

  • die ganzen Behördengänge
  • wieder und wieder Termine holen
  • immer wieder die gleichen Unterlagen einreichen
  • von A nach B nach C und wieder nach A rennen
  • nicht verstehen, was eigentlich abläuft und warum das Ganze
  • sich nicht akzeptiert und als Mensch 2. oder 3. Klasse fühlen

Er sagte mir letztens wieder einmal, dass er einen anderen Namen haben will. Ob er das ein bisschen auch im Spaß meint? Sicher bin ich mir da nicht. 🙄

Klar ist, durch seinen Nachnamen hat er Nachteile. Er fühlt sich (und wird) in eine Schublade gesteckt. Die ist auf jeden Fall unten statt oben in der Kommode der Wertschätzung.

Jetzt soll sich Khaled in der Palästinensischen Mission in Berlin bestätigen lassen, dass er palästinensischer Staatsbürger ist. Vorher gibt es weder Reiseausweis noch Niederlassungserlaubnis, obwohl er alle Voraussetzungen erfüllt.

Es fehlt halt das Dokument, heißt es von der zuständigen Stelle im Regierungspräsidium Stuttgart. Mir wurde das nett und im Detail erklärt. Dies ist der O-Ton für die Begründung:

Nahezu jeder Ausländer, welcher im Bundesgebiet lebt, muss früher oder später einmal bei der Auslandsvertretung seines Heimatlandes vorsprechen und in diesem Zusammenhang gewisse Unannehmlichkeiten (wie zeitlichen und finanziellen Aufwand) in Kauf nehmen. Von Herrn xxx wird daher trotz seiner Ausbildungssituation im Vergleich mit anderen Ausländern nichts Unzumutbares verlangt. Ich gehe davon aus, dass er einen gewissen Urlaubsanspruch hat und sich ein oder zwei Tage für die Reise nach Berlin frei nehmen könnte. Auch finanziell ist ihm die Fahrt zuzumuten.

Ich hab es trotzdem nicht wirklich nachvollziehen können (einfach, weil es alle machen müssen?) und deshalb versucht Khaled die Reise, die Kosten, den Zeit- und Energieaufwand zu ersparen.

Lies, was ich gemacht hab 🤓.

Schreiben ans Regierungspräsidium

Über das Ausländeramt in Khaleds Wohnort erhielten wir einen Brief, dass Khaled nach Berlin soll.

Haben wir beide nicht verstanden. Also hab ich nachgefragt und mir die Ansprechpartnerin (Sachbearbeiterin) im Regierungspräsidium Stuttgart geben lassen.

Mir war wichtig, ihr zu zeigen, was Khaled alles durchstehen muss. Dass ein Mensch hinter den Formularen steht. Auch habe ich bei meiner Recherche herausgefunden, dass es Good Practices von den Vereinten Nationen gibt, die eine menschliche Betrachtungsweise befürworten.

Dies Bild von Khaled hab ich noch angehängt.

Junger Mann steht am Tisch in der Küche und produziert Maultaschen. Er schaut über die Schulter in die Kamera und lacht.Der Mensch steht im Vordergrund. Khaled bei der Maultaschenproduktion.

Das habe ich geschrieben:

Liebe Frau xy,

herzlichen Dank für Ihre schnelle und ausführliche Antwort. Ich bin sehr froh, einen Menschen hinter der Adresse: Regierungspräsidium zu haben, an den ich mich wenden kann.

Ich habe lange überlegt, ob ich Ihnen so eine ausführliche Mail zumuten kann, glaube aber, dass es wichtig ist und sein muss.

Es freut mich sehr, dass Sie mein Engagement und Khaleds Integrationserfolge wertschätzen. Damit Sie seinen Fall besser beurteilen können, gebe ich Ihnen einen Überblick mit Zahlen und Fakten über seinen Lebensweg:

Allgemeine Situation und Lebensweg:

  • Im September 2015 kam Khaled im Alter von 16 Jahren allein und ohne Familie über die Türkei nach Esslingen
  • Im Oktober 2015 lernten wir uns kennen. Seitdem begleite ich ihn kontinuierlich und bin der einzige Mensch in D, der ihn so lange kennt
  • Bis 2018 wurde er von 5 verschiedenen Betreuern der Jugendhilfe und einem weiblichen Vormund (mit mehreren Mündeln) betreut
  • Er wohnte in 5 unterschiedlichen Wohngruppen ohne abschließbares Zimmer und geschützten Raum für sich
  • 2018 absolvierte er seinen Hauptschulabschluss mit der Note 3 und wollte seinen Realschulabschluss machen
  • Das scheiterte an Fehlzeiten. Aufgrund einer Nasenoperation hatte er seine Krankmeldungen nicht rechtzeitig eingereicht
  • Mit seiner Volljährigkeit konnte ich ihn noch in einem Hilfsprogramm des BAZ unterbringen, dort wurde er unter anderem bei Antragstellungen unterstützt, konnte an Berufsvorbereitung teilnehmen und half in der Küche
  • Eine erste Ausbildung als Koch begann er im März 2020. Diese Stelle verlor er durch Insolvenz des Betriebes (Corona)
  • Die zweite Ausbildung startete er im September 2021 mit vorherigem Praktikum ab März 2021
  • Im August 2021 starb sein Vater
  • Im März 2022 starb seine Mutter. Beide Eltern hatte er seit 2015 nie wieder gesehen und konnte keiner Beerdigung beiwohnen
  • Danach brach er zusammen und kam 10 Tage nicht zur Arbeit
  • In vielen Gesprächen und einem selbst konzipierten Wiedereingliederungsprogramm mit Arbeitgeber und Schule schafften wir, dass er lediglich das erste Lehrjahr wiederholt und seine Ausbildung erfolgreich fortführt
  • Die Wiedereingliederung lief über 6 Monate. In dieser Zeit wurde Khaled auch an der Nase operiert, weil er seit 1,5 Jahren über Atembeschwerden klagte. Es stellte sich heraus, dass ein Fremdkörper in seiner Nase (aus einer vorherigen Untersuchung stammend) vergessen wurde. Das ist kein Witz. Wie er seine Coronaerkrankung und die Arbeit in der Küche mit Maske ertragen hat, kann ich mir gar nicht vorstellen.

Antragstellung Reiseausweis:

  • Erste Anfrage im Frühjahr 2022 bei der Ausländerbehörde in Esslingen mit Terminvergabe für November 2022
  • Durch Sondertermine wurden die Fingerabdrücke im August genommen
    Danach hörte Khaled auch auf mehrmaliges Nachfragen nichts.

Durch den Zusammenbruch nach dem Tod seiner Mutter und der folgenden Wiedereingliederung zog Khaled im Juli 2022 von Esslingen nach Nürtingen, in die Wohnung direkt über dem Restaurant des Arbeitgebers.

Das war als Übergangslösung gedacht, da es ihm keinen Raum zum Abschalten gibt. Seitdem suchen wir eine Alternative. Erfolglos.

  • Mitte Oktober 2022 wurde in Esslingen entschieden, seinen Antrag an den neuen Wohnort nach Nürtingen weiterzuleiten
  • Am 31.10. wurde die Akte per Post verschickt
  • Am 08.11. war die Akte noch nicht in Nürtingen angekommen
  • Am 17.11 erhielt Khaled bei einem Vor-Ort Gespräch die Informationen, seine Akte sei zur Bearbeitung weitergeleitet (und Ansprechpartner)
  • Am 01.12. schrieb ich den Sachbearbeiter direkt an und bat um eine Info, wie der Prozess abläuft
  • Am 30.01.23 fragte ich erneut nach und als keine Antwort kam am 08.02.23
  • Bei meinem Anruf am 08.02. wurde mir mitgeteilt, dass der Antrag am 08.02. an das Regierungspräsidium geschickt wurde.
  • Sein aktueller Ausweis wird ab 01.04.2023 ungültig!

Finanzielle Situation:

  • Nettoverdienst bis Dezember 2022 war unter 350,- Euro (die Miete wird vom AG einbehalten und vom Jobcenter an Khaled überwiesen)
  • Aktueller Nettoverdienst ist 100,- Euro weniger, da die Miete erhöht wurde
  • Die Mietkosten betragen aktuell 450,- Euro
  • Die Leistung vom Jobcenter beträgt 380,- Euro
  • Die Mietzahlungen der letzten 2 Monate wurden ausgesetzt. Der Grund: Formfehler von mir beim Ausfüllen des Formulars für das Jobcenter
  • Khaled versucht seit Tagen erfolglos, die ausstehenden 2 Monatsmieten zu erhalten

Zusammenfassung und eigene Sichtweise:
Die Details zeigen einen Teil der Herausforderungen, die Khaled bewältigen musste und muss. Welche Traumata er noch erlebt hat, weiß ich nicht. Ich kann mir kaum vorstellen, wie verzweifelt und hilflos er sich oft immer noch fühlen muss.

Wäre er mein Sohn, es würde mich zerreißen.

Um so besser finde ich die großartige Entwicklung, die er durchgemacht hat. Sein Arbeitgeber ist stolz auf ihn und er ist eine wichtige Stütze des Betriebs. In der Berufsschule läuft es gut und er hat große Fortschritte gemacht. Er hat das Ziel, als Bester die Ausbildung abzuschließen und ist auf dem Weg.

Sie schreiben in Ihrer Mail, dass Sie meine ehrenamtliche Tätigkeit schätzen. Wäre Khaled mir nicht so ans Herz gewachsen, hätte ich schon lange aufgegeben. Der Grund ist unsere Bürokratie.

Diese Mail hat mich mehr als 2 Stunden meiner Zeit gekostet: mit Fakten zusammensuchen und so klar und verständlich wie möglich zu formulieren, damit Sie die Chance haben, mich zu verstehen. Dies ist nicht die erste Mail, die ich schreibe. Wie viel Zeit ich mit Nachfassen bei Behörden, Erklärungen und dem Versuch, Abläufe zu verstehen (damit ich sie Khaled erklären kann) verbracht habe, möchte ich gar nicht wissen.

Aber es lohnt sich. Wenn wir gemeinsam Lösungen finden. Deshalb bin ich auch so dankbar, dass Sie mir zurückgeschrieben haben.

Ich habe die „Feststellung der Staatenlosigkeit“ nicht verstanden und kurz recherchiert. Dabei bin ich auf diesen Artikel gestoßen und das hat geholfen. Auf Seite 7, Absatz 1 steht:

In Feststellungsverfahren müssen daher die Schwierigkeiten berücksichtigt werden, die naturgemäß mit dem Nachweisen der Staatenlosigkeit verbunden sind. UNHCR empfiehlt, dass in Feststellungsverfahren die Beweislast zwischen dem Antragsteller/der Antragstellerin und den EntscheiderInnen geteilt wird. Staaten sollten zudem einen angemessenen Beweismaßstab anwenden. So sollte eine Person als staatenlos anerkannt werden, wenn in vernünftigem Maße („reasonable degree“) nachgewiesen wird, dass sie unter die Definition einer staatenlosen Person nach dem Staatenlosenübereinkommen fällt.

Das erweckt bei mir den Eindruck und die Hoffnung, dass ein gewisser Spielraum besteht.

Meine Bitte an Sie: betrachten Sie Khaled als Mensch

  • dessen Ausweis noch ca. 1 Woche Gültigkeit hat,
  • der sich aktuell im Fastenmonat befindet und aktuell
  • Blockunterricht in der Berufsschule bis zum 28.04. hat,
  • der mit einem Monatseinkommen von 241,38 netto
  • schätzungsweise 3 Monatsgehälter investieren müsste und
  • wenn er zeitnah einen Termin bekommt,
  • zwei Tage Zeit benötigt, um das Papier zu beschaffen, falls es überhaupt klappt
  • der bisher alles getan hat, um nötige Formulare rechtzeitig zu beschaffen und
  • der einfach nur seine Arbeit gut machen und die Ausbildung schaffen möchte

Nutzen Sie Ihren Ermessensspielraum als Entscheiderin und stützen sich auf die „Good Practices Papers“ des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) und setzen einen menschlichen und in diesem Fall niedrigeren Beweismaßstab an.

Sollten Sie dazu nicht befugt sein, leiten Sie bitte mein Schreiben schnellstmöglich an die zuständige Person weiter. Für eine schnelle Antwort und Ihre Unterstützung bin ich Ihnen sehr verbunden.

Die Antwort

Keine Angst, jetzt gibt es nicht mehr so viel zu lesen 😉. Die Antwort fällt wesentlich kürzer aus:

Guten Morgen Frau Schulz,

vielen Dank für Ihre ausführliche Nachricht.

Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass Herr xxx derzeit in Besitz einer Fiktionsbescheinigung ist. Diese kann bis zur Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis problemlos durch die Ausländerbehörde verlängert bzw. neu ausgestellt werden. Herr xxx sollte sich diesbezüglich mit der Ausländerbehörde in Verbindung setzen.

Ihre Ausführungen geben mir einen besseren Überblick über den Fall von Herrn xxx, vermögen aber an meiner Rechtsauffassung nichts zu ändern. Sie bitten darum, einen menschlichen und niedrigeren Beweismaßstab anzusetzen. Ihre Aussage impliziert, eine Reise nach Berlin und Vorsprache bei der Palästinensischen Mission sei unmenschlich. Dies ist keineswegs der Fall. Solche Begriffe sollten zurückhaltend verwendet werden.

Sofern Herr xxx die geforderte Bescheinigung der Palästinensischen Mission nicht vorlegen kann, kann die Ausländerbehörde vorerst keinen Reiseausweis für Staatenlose ausstellen. Die Begründung hierfür hatte ich Ihnen bereits mitgeteilt. Seine Aufenthaltserlaubnis wird dann als Ausweisersatz verlängert, mit welchem keine Auslandsreisen möglich sind.

Mit freundlichen Grüßen

Bild eines Anschreibens vom Ordnungsamt, mit der Bitte zur Palästinensischen Mission nach Berlin zu fahren.
Dieses Schreiben des zuständigen Amtes hat den Stein ins Rollen gebracht.

Natürlich war ich enttäuscht 😔.

Davon musste ich mich erstmal erholen. Hat auch ein bisschen gedauert.

Wie es weitergeht und was mich wieder aufgebaut hat, liest du im nächsten Blogartikel nach Ostern 🐇🐥.

Möchtest du kommunikativ erfolgreicher werden mit Tipps und Rezepten von mir?

Abonniere meinen Newsletter und hol dir eine Kostprobe! 

Pssst. Nicht vergessen, auch noch einen Klick in der Bestätigungsmail (kommt nachdem du dich mit Namen und Mailadresse angemeldet hast) zu machen. Brauchen wir wegen Datenschutz 🤓

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Wenn du die Kommentarfunktion verwendest, wird neben den Daten, die du eingibst, aus Sicherheitsgründen auch für 60 Tage deine IP-Adresse gespeichert. Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit * markiert. Weitere Informationen über die Datenspeicherung und -Verarbeitung findest du in meiner Datenschutzerklärung.

Kommunikationskochschule